Wissen kann Mensch auf viele Arten mehren und teilen. In Workshops, Lectures, im freien Experiment oder wie in diesem Fall im Gespräch als Eventformat. Was bedeutet es, wenn Design von Urbanität inspiriert wird und was ist eigentlich ein urbaner Lebensstil? Wie beeinflussen uns unsere städtischen Landschaften und welche Designsprache dürfen wir als «ästhetisch» adeln? Diese und weitere Fragen konnte ich in einer Podiumsdiskussion mit Heiko Stahl (Senior Vice President International Markets Vitra), Markus Kaiser (Head of Product Management and Innovation Lab Carl F. Bucherer) und Andy Wolf diskutieren. Zum Produktlaunche der neuen Manero Uhrenkollektion von Carl F. Bucherer nahmen wir das Thema «urban» genau unter die Lupe und lernten alle von den jeweiligen Expertisen der anderen.
Die Atmosphäre eines Anlasses
Carl F. Bucherer wählte für das Event die On Labs in Zürich. Mitten im urbanen Umfeld ist der On Campus eine zeitgenössische und preisgekrönte Referenz hervorragenden architektonischen und innenarchitektonischen Designs. In diesem Ambiente liess es sich besonders gut über die Thema Urbanität und Ästhetik sprechen. Das könnte schon als Beleg dienen, wie sehr unser räumliches Ambiente Einfluss nimmt auf unsere Stimmung und Handeln und auf welche Gedankengänge wir überhaupt kommen. Wir werden inspiriert von dem was um uns ist, ob Landschaften, Gebäude, Objekte oder anderen Menschen und was sie tun. Es sind die Gesamtatmosphären, die uns entweder einengen oder aufleben lassen. Ich war in dem Falle inspiriert von Location, Publikum und meinen Gesprächspartnern.
Lebens- und Innovationsraum Stadt
Andy Wolf, führte uns mit seinen Interviewfragen durch den Abend und eröffnete den Talk entsprechend gleich einmal mit der zentralen Frage: «Barbara, was ist eigentlich urbanes Design?» Bevor ich darauf einging wollte ich erst einmal den Begriff klären. Denn unser heutiges Adjektiv «urban» oder «städtisch» kommt vom lateinischen «urbs» für Stadt, wobei die alten Römer damit natürlich immer ihr Rom meinten, als das Zentrum von Macht, Handel und Bildung. Es führten ja nicht umsonst «alle Wege nach Rom», was das antike europäische Strassennetz belegt. Und da ist sie schon, die Vorstellung von was eine Stadt ist: ein Ballungsraum mit grossem Einfluss und Strahlkraft, in dem Menschen ihr Wissen austauschen und voneinander lernen. Und Rom ist keinesfalls der ältestes Beweis dafür. In Mensopotamien, im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, das Gebiet liegt heute überwiegend im Iraq, wurden einige der ältesten Metropolen der Menschheut entdeckt. Vor 5-6 Tausend Jahren entstanden Städte wie das mythische Uruk. Nichts weniger als die Schrift wurde dort erfunden, also die Möglichkeit Informationen festzuhalten und an andere weitere zu geben. Das ist fundamental für unsere gesamte Kulturgeschichte. Menschen schufen nicht nur Schriftzeichen sondern komplexe Texte von der Buchhaltung über Gesetzgebung bis hin zu Geschichten und Literatur. Übrigens schrieb mensch damals auf handliche Tontafeln, die das Format heutiger Mobiltelefone haben. Mobilität war also schon damals Key. Insofern profitierten städtische Gebiete von individuellen Ideen und Fertigkeiten und dessen Austausch und Skalierbarkeit, was direkt in Designlösungen Ausdruck findet. Städte sind kurz zusammengefasst vor allem eines: Zentren der Kreativität, des Wissensaustauschs und der Innovation. Auch Heiko Stahl war mit mir hier sehr einig.
New Work: vom Zeitgeist zur Kultur
Ein weiterer Punkt bei dem Heiko und ich einer Meinung waren ist die Bedeutung von Arbeitsräumen für unsere heutige Zeit. Auch bei Firmenniederlassungen und Offices haben wir es mit Ballungszentren zu tun, mit Mikrogesellschaften und den damit verbunden Aspekten. Aber auch mit dem Gesamtkontext des urbanen Raums, in dem sich Firmen ansiedeln, um Nahe bei ihren Mitarbeitenden zu sein. Die physische Präsenz ist immer noch, oder besser formuliert – eben gerade – in Zeiten von Homeofffice und «Work from Anywhere» ausschlaggebend. Eine Unternehmenskultur ist im Kleinen wie im Grossen das A und O für Motivation und Einsatzbereitschaft von Mitarbeitenden. Eine Firma ist nur so gut, wie ihre Menschen, denn Technik, künstliche Intelligenz und Automatisierung sind zumindest in dieser Welt, noch nicht autark. Die Bedürfnisse bei der Arbeit kennt Heiko Stahl sehr gut, denn sein Erfahrungsschatz zur Unternehmenskultur und Officegestaltung fusst auf seiner langjährigen Karriere bei Vitra. Menschen wollen nicht allein zu Hause vor dem Rechner sitzen, sondern suchen den persönlichen Austausch und das Zusammenkommen, so Heiko. Das Office hat dabei die Aufgabe die Identität des Unternehmen erlebbar zu machen und dementsprechend nicht nur Kund*innen, sondern eben auch die Erlebnisqualität der Mitarbeitenden zu adressieren. Angesichts des grossen Anteils unseres Lebens, den wir mit und in «der Firma» verbringen ist auf die Gestaltung dieser Umgebungen besonders zu achten. Es geht hier um Wohlbefinden zum Einen, um Gesundheit und Produktivität zum Anderen und nicht zuletzt um die Art und Weise wie wir miteinander umgehen und uns definieren – kurz es geht um unsere Kultur. New Work Konzepte sind mehr als ein Trend, sondern vom urbanen Lebensstil heute nicht mehr wegzudenken.
Heiko Stahl erzählt von Arbeitswelten und seinen Erfahrungen bei Vitra.
Design als Antwort auf urbanen Lebensstil
Die Kultur des Urbanen hat aber nicht nur gesellschaftliche oder gemeinschaftliche Faktoren sondern auch ganz persönliche. Der persönliche Geschmack und die gestalteten Dinge unseres Lebens, d.h. Design, spielen ebenfalls eine Rolle. Design wird von Urbanität bestimmt, schon allein weil der überwiegende Teil der Menschheit seit dem Jahr 2015 in Städten lebt, Tendenz steigend. Unser natürlich-artifizielles Habitat ist sozusagen die Stadt. Was urbaner Lebensstil bedeutet hat auch Carl F. Bucherer im Fokus. Die neue Manero Kollektion kann als Antwort auf die Auftaktfrage des Talks verstanden werden, was denn urbanes Design eigentlich sei. Der Lebensstil eines städtischen Publikums, das sich in einer überwiegend technischen Welt aufhält und von vielen digitalen Gadgets und diversen nützlichen bis unnützen Produkten umgeben ist, lässt aber kaum auf automatische Uhrwerke schliessen. Oder doch? Ja, denn auch wenn wir unseren Grosstadtdschungel oftmals lieben, so sind wir als biologische Wesen auch überfordert mit allzu vielen Optionen. Es gibt kaum einen Gegenstand, der an unserem Körper, so selbstverständlich, wie eine Brille oder eine Uhr getragen wird und somit täglicher Begleiter ist. Markus Kaiser leitet das Innovationslab der Marke Carl F. Bucherer und bringt die Kunst des Uhrmacherhandwerks in die Runde. Er erklärt uns die Reduktion und Pureness eines automatischen Gegenstandes, der nicht ablenkt und dabei seine Funktion erfüllt: Die Uhrzeit zu zeigen und dabei die Umgebung der Stadt ästhetisch zu reflektieren z.B. mit einem gestreiften Zifferblatt, das eine Anspielung auf Lamellenfassaden und Architektur ist. Was ist denn nun ästhetisch? Liegt das nicht im Auge des Betrachtenden? «Natürlich!» möchte ich sagen. Denn das Wort ästhetisch kommt von altgriechischen Ausdruck Aistheisis, was so viel wie Wahrnehmung bedeutet. Und jemensch mag anders wahrnehmen bzw. empfinden. Auch das gehört zum urbanen Lebensstil, die Vielfalt mitzudenken. Design muss Menschen dienen und ihren Bedürfnissen entsprechen. Es ist nur logisch, dass urban-orientierte Designlösungen zu schaffen sind, die Städter*innen nützen und auf ihre Lebenswelt reagieren. Und das, wie in diesem Falle, mit weniger statt mehr.
Im Gespräch mit Markus Kaiser.
Netzwerken für mehr Wissen und mehr Ästhetik
Wenn immer sich die Gelegenheit bietet, fundiert mit Expert*innen zusprechen, mit Menschen, die über Fachwissen in der eigenen und v.a. auch in ganz anderen Disziplinen verfügen, sollte sie genutzt werden. Nicht umsonst ist eine der Grundregeln von Design Thinking interdisziplinäre Teams zusammenzubringen, wenn es darum geht schnell und zielgerichtet innovative Ideen zu entwickeln. Im Gespräch steh man unter dem Druck konsistent und effizient zu formulieren, was eine gewisse Klarheit zum Thema voraussetzt. Ich muss «literate» sein, indem was ich anderen weitergebe, dazu muss ich es mir vorher so angeeignet haben, dass ich es beherrsche, im wahrsten Sinne des Wortes und damit spielen kann. Der Ausblick auf einen Vortrag und den konkreten argumentatorischen Austausch um nicht zu sagen Schlagabtausch motiviert mich ungemein mein Wissen zu strukturieren und mir immer Neues Wissen anzueignen. Learning through Teaching ist hier die Devise. Aber eben auch die spontane gegenseitige Inspiration im Gespräch. Denn die eigenen Gedanken entwickeln sich mit dem Input aus anderer Perspektive weiter. Schon allein einfache Nachfragen, können enorme Wirkung auslösen. Wenn ich z.B. gefragt werde «Warum ist das so?» gibt es mir Anlass und Energie das zu ergründen und auch gleich die Gelegenheit die Gegenfrage zu stellen «Wie ist es denn für dich?». So erfahren wir nicht nur die Welt durch unsere eigenen Augen und Vorurteile, sondern gewinnen Einblick in die Denkweise anderer. Für mich als Designerin sind Gesprächspartner*innen postwendet potentielle Zielgruppen oder eben Wissensträger*innen, die meinen eigenen Horizont erweitern. In dem wir von anderen lernen, erweitern wir auch unsere eigenen ästhetischen Kapazitäten, das heisst also wie wir die Welt wahrnehmen. Und dies schlägt sich bei Designschaffenden unweigerlich in unserem ästhetischen Ausdruck wieder, d.h. wie unserer Kreationen und Designlösungen von anderen auf- und wahrgenommen werden. Und nicht Ästhetik als Synonym für Wahrnehmung wird durch das Netzwerken befeuert, auch der ganz klassische Begriff der Ästhetik als Schönheit profitiert und damit wir alle. Denn mehr Wissen schafft mehr Ästhetik und macht die Welt, zumindest im Falle der raumbezogenen Gestaltungsdisziplin, wie der unseren, zu einem schöneren Ort. In diesem Sinne #machtdieweltschöner!
Dr. phil. Barbara Mutzbauer ist Creative Director bei Aroma Creative, inszeniert Botschaften in und mit Räumen und entwickelt emotionale, multi-sensuelle Erlebnisse. Sie promovierte in Kulturwissenschaft zum philosophisch-ästhetischen zum Thema der Atmosphäre in der Ausstellung. Barbara studierte u.a. Innenarchitektur und Ethnologie. Sie gibt ihr Wissen Aroma intern weiter in unseren Weiterbildungsformaten aCampus und aCademy. Sie ist zudem Dozentin für Theorie des Spatial Design an der Hochschule Luzern – Design, Film und Kunst und unterrichtet auch an der Zürcher Hochschule der Künste. In der Summer School der ZHdK leitet sie den Kurs «New Work Spaces» und lehrt zusammen mit Mauro Testerini, Creative Director Aroma Architecture, zu Arbeitswelten und Unternehmenskultur. Teilnahme noch möglich.
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