Ein Kommentar von Barbara Mutzbauer, Creative Director Concept and Strategy.
Kann Design, das wir nicht sehen, überhaupt wirklich etwas? Oder geht es bei Raumduft, Akustiklandschaften und feinen Oberflächenunterschieden nicht eher um Nice-to-Haves und unnötige Commodities? Menschen sind sinnliche Wesen und interpretieren ihre Umwelt auch mit Hilfe des Tastens, Hörens und Riechens. Den Sinnen, der Atmosphäre und deren emotionale und psychologischen Wirkung widmete sich das 4. Symposium der Innenarchitektur der Hochschule Luzern mit Inputs aus Forschung und Praxis. Dabei wurde auch darüber diskutiert was überhaupt die wichtigen Funktionen von Räumen sind. Aroma unterstütze das Event.
Szenerie Symposium Invisible Space im Neubad Luzern (von links nach rechts: Ute Ziegler, Cristina Cavigello, Barbara Mutzbauer, Remo Derungs, Marcel Glanzmann, Fotocredits: Sublim, Mathias Mangaold)
Das, was uns oftmals direkt emotional betrifft und nachhaltig beeinflusst, ist nicht nur die optische Seite unserer räumlichen Welt. Es ist ein Zusammenspiel aller sensorischen Informationen aus der Umwelt und unserem inneren Verständnis davon. Die Sinneseindrücke stimmen unsere Gefühlslage und so spricht mensch gerne von Raumstimmung oder Atmosphäre. Etwas was offenkundig nicht zu sehen, aber zu fühlen kann. Doch so unsichtbar ist Atmosphäre auch wieder nicht – denn genau genommen ist sie an ihrer Wirkung zu sehen. Denn wenn Räume auf unsere Stimmung einwirken, so wirken sie auch auf unser Verhalten. Und das kann durchaus gesehen, beobachtet und eingeordnet werden. Ob durch eine fein gewählte Tischdekoration oder das Gesamtambiente eines umgenutzten Schwimmbades, wie im Neubad in Luzern, in dem das Symposium stattfand. Die spezielle Atmosphäre des Ortes – die Vorträge finden im ehemaligen Pool unter dem Sprungturm statt – in Kombination mit Mobiliar und Licht stimmt aufs Thema ein und regt in der Pause zum Gespräch an. Obgleich die Bedeutung atmosphärischer Qualität also grundsätzlich nicht in Frage zu stellen ist, höre ich noch oft, dass Atmosphäre ein Nice to Have wäre, um das es sich erst zu kümmern gilt, wenn die wichtigen Funktionen in Planung und Finanzierung eines Projektes untergebracht sind. Das Symposium bot gerade zu diesem Punkt aufschlussreiche Positionen.
Szenerie Symposium Invisible Space im Neubad Luzern mit Tischinszenierung, Credits: Sublim, Mathias Mangold
Im Podiumsgespräch hatte ich die Gelegenheit mit meinen Talkgästen zu diskutieren. Neben der Designforscherin und Innenarchitektin Dr, Ute Ziegler begrüsste ich die Mitgründerin von Sinnendüfte Christina Cavigelli, den Innenarchitekt und Präsident des VSI Remo Derungs und den Künstler Marcel Glanzmann auf der Bühne, oder besser im Pool. Ich fragte, ob und wie sich Atmosphären für sie überhaupt planen lassen. Meine Gäste hatten spannende Positionen zu bieten, die aufzeigten, dass Atmosphären holistisch betrachtet werden müssen. So ist für Remo Derungs der Dialog eine wichtige Methode. Das Suchen und Führen von Dialogen im Planungsprozess mit den Beteiligten fördert die Bedürfnisse zu Tage, auf die es ankommt. Zudem muss für Derungs, der auch eine Professur an der Scuola universitaria professionale della Svizzera italiana für Bauen im Bestand hält, der Ort und seine Gegebenheiten zentral mitgedacht werden. Christina Cavigelli geht ebenfalls methodisch vor, wenn sie einen Raumduft kreiert. Sie sucht nach sinnlichen Assoziationen, die der Duft evozieren sollte. So fragt sich nicht wie ein Raum riechen soll, sondern was das Äquivalent der Farbe wäre, wie er sich anfühlen solle oder um welche Klangwelten es geht wie eher klassisch, oder jazzig, hoch oder tief? Die Antworten definieren dann eben auch den Duft. Besonders interessant finde ich die Tatsache, dass es zum einen ein aktives Dufterlebnis gibt, bei dem die riechende Person den Geruch aktiv wahrnimmt, aber gleichzeitig auch die Wirkung des Dufts, wenn sie knapp unter der Wahrnehmungsschwelle rangiert. Auch dann «funktioniert» der Duft, nur ohne konkrete Kenntnis des Menschen. Für Marcel Glanzmann ist eine Schlüsselkomponente beim Gestalten von Atmosphären die Recherche und das Verständnis für Kontext und Zielgruppe. Hilfreich, so Glanzmann, wäre auch die Überlegung was die Atmosphäre gerade nicht sein soll, um das bewusst nicht zu verfolgen. Eine Offenheit für Anpassungen im Prozess ist notwendig, damit die gewünschte Atmosphäre entstehen kann. Und auch für Ute Ziegler sind die menschlichen Bedürfnisse zentral. Durch die Evaluation der Umsetzungen ihrer Forschungsprojekte mit den Nutzer*innen konnte sie Faktoren benennen, die konkret positive Wirkung auf Stressempfinden und Gesundheit haben. Für Ziegler bietet der Zusammenhang von Wohlbefinden und Atmosphäre noch sehr viel Forschungspotential.
Credits: Sublim, Mathias Mangaold
Die vielschichtigen Wahrnehmungsebenen von Räumen sind nicht etwa allein Sache von gutem Geschmack und Gespür, wenngleich die Rolle der Intuition nicht zu unterschätzen ist. Die Arbeit von Designforschenden, generiert evidenzbasiertes und faktisches Wissen auf das mensch sich berufen kann mit grossen Vorteilen für die Praxis und konkrete Anwendung. Am Kompetenzzentrum der Innenarchitektur (CCIA) an der Hochschule Luzern werden Raumfaktoren erforscht, die messbare Vorteile für Wohlbefinden, Komfort und Gesundheit von Menschen erbringen. Dr. Isabella Pasqualini beispielsweise sprach über ihre neurowissenschaftlichen Studien, zur Wahrnehmung des eigenen Körpers im Raum. Ein Thema das auch für digitale Technologien wie VR Brillen wichtig ist, um virtuelle Raumerlebnisse zu verbessern. Wie bedeutsam der ganz analoge Raum in manchen Lebensphasen für uns alle werden kann zeigte Ute Ziegler. Ihre Arbeit dreht sich um Healthcare und Räume, die im Krankheitsfall die Genesung fördern können. Das Beispiel einer Spitaldecke finde ich sehr überzeugend. Mag einem gesunden Menschen eher selten die genaue Beschaffenheit einer Raumdecke interessieren, so ist der Blick von im Bett liegenden Patient*innen über einen langen Zeitraum mitunter ständig auf die Decke gerichtet. Monotone Spitaldecken bieten dem Gehirn kaum visuelle Informationen. Zusammen mit einer belastenden Geräuschkulisse (mensch stelle sich die Töne der medizinischen Apparate vor) kommt es in Krankenhäusern, Seniorenheimen oder Hospizen zu quälenden Halluzinationen, bis hin zu Horrortrips der Patient*innen. Dr. Ute Ziegler und ihr Team erarbeiteten mit dem Projekt CeilHeal eine therapeutische Systemdenke an der Schnittstelle von Akustik-, Licht-, Elektro- und Haustechnikplanung. So können möglichst positive Assoziationen bei den Patient*innen erzeugt werden.
Ein Raum bietet für alle Sinne gleichzeitig Informationsgehalt, auch wenn dieser an der Schwelle zum Unbewussten wirkt. Das Gehör arbeitet, anders als die Augen, die wir schliessen können, ohne Unterlass. Klangszenograf Ramon de Marco nahm das Publikum mit auf eine klangliche Reise. Er zeigte an Hörbeispielen auf, dass wir all zu oft von mindestens unschönen Klangkulissen betroffen sind, in der Kakophonie von Hotelllobies oder Firmenfoyers. Wer dort an der Rezeption arbeitet ist dem täglich ausgesetzt. Das Projekt der Klangskulptur bei Capital Partners in Chicago ist eine ganz andere Lobby. An einem akustisch komplexen Ort mit viel Nachhall überschneiden sich die Funktionen Café, Eingangsbereich und Treffpunkt. In Zusammenarbeit mit Norman Kelly Architects und iart entstand eine begehbare und reaktive Klanginstallation, ein digital gesteuertes Instrument in Form eines Amphietheaters. Lautsprecher reagieren auf die Position von Besuchenden. Es werden differenzierte Klangerlebnisse, je nachdem ob sie in der Skulptur Platz nehmen oder in der Lobby daran vorbei gehen. Dabei ist die eingespielte Komposition niemals die gleiche, sondern reagiert auch auf Tageszeit und Wetterverhältnisse.
Lobby Capital Partners in Chicago, Credits: Norman Kelly Architects
Patrick Steblers Ressort ist wie der Klang ebenfalls nicht sichtbar. Er ist Duftexperte, komponiert Raumdüfte und wird mitunter auch als Bergluftsommelier bezeichnet. Denn er führt Interessierte durch die Graubünder Natur und zu deren Duftwelten. Es geht um das sensibilisieren für Gerüche. Das Publikum in Luzern hat die Möglichkeit die Erläuterungen auch tatsächlich an kleinen Duftproben nachzuvollziehen. Stebler erklärt wie stark Duft und Erinnerung miteinander verbunden ist und dass es trotz verschiedener Geschmäcker auch Düfte gibt, die bei einem sehr grossen Publikum ankommen. Vanille ist so ein Duft, was bei persönlich zweifelsfrei bestätigen kann, oder das sogenannte Molecule 01. Denn beim Tragen dieses attraktive Parfums, so Stebler, könne die Wirkung oft in der Reaktion anderer abgelesen werden.
Patrick Stebler unterwegs ins Graubünden, Credits: Marco Hartmann
Der Beitrag von Studierenden der Innenarchitektur an der HSLU führten uns ein eher absurdes Phänomen der Designpraxis vor Augen. Wir kennen es, häufig dienen Bilder aus dem Netz als Inspirationsquelle. Plattformen voller «vorbildlicher» Räume, die hedonistisch-elegant, puristisch und minimalistisch als Ideengeber dienen. Was in den Bildern aber nicht zu sehen ist, ist wie der Alltag der Nutzer*innen in diesen fotografisch-komponierten Räumen funktionieren soll. Wenn in der schön designten Badezimmer-Oase kein Tumbler zu finden sein darf und auch sonst kein Platz für den Wäscheständer vorgesehen wird, funktioniert der stylisch reduzierte Living Room eher als latentestes Ärgernis. Denn wenn die Kleider dann doch mal banal trocknen müssen, werden sie eben sichtbar. Das Unsichtbare in der Planung ist also mitunter auch etwas sehr Praktisches.
Von links: Ute Ziegler, Christina Cavigelli, Barbara Mutzbauer. Credits: Sublim, Mathias Mangold
Wenngleich also noch weitere Beweise und Fakten zu schaffen sind wird im Podiumsgespräch und den Vorträgen klar wie bedeutungsvoll unsichtbare Faktoren sind. Und wir müssen die Sinneseindrücke dabei nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht unbedingt aktiv davon Kenntnis nehmen. Für mich bedeutet das eben nicht, dass wir diese Sinneseindrücke vernachlässigen dürften. Gerade diese Aspekte sollten mit Bedacht behandelt werden, denn sie haben für uns Menschen nicht nur Einfluss auf den Lebensstil, sondern auf die Lebensumstände und Qualität. So ist die atmosphärische Wirkung eines Raumes kein Nice-to-Have oder Add-On, abseits von den «echten» Funktionen. Die Frage danach, wie sich Menschen im Raum fühlen sollen, fragt nach der fundamentalsten Funktion, die wir in der Planung berücksichtigen müssen. Daher plädiere ich Sinnliches und Atmosphärisches als festen Bestandteil der Gespräche und Zielsetzungen eines Bauvorhabens zu integrieren. Dafür braucht es auf Seiten von Auftragnehmenden und Auftraggebenden Zeit und Ressourcen. Dass es sich lohnt, diese aufzuwenden, zeigte das Symposium.
Dr. Barbara Mutzbauer ist Creative Director Concept und Strategy. Sie inszeniert Botschaften in und mit Räumen und entwickelt emotionale und multi-sensuelle Erlebnisse. Sie studierte u. a. Innenarchitektur und Ethnologie und promovierte in Kulturwissenschaft zum philosophisch-ästhetischen Thema: «Die Funktion der Unschärfe – Atmosphärische Kommunikation in der Weltausstellung».
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