CORPORATE CULTURE SPACES:
VON UTOPIEN, DYSTOPIEN UND ANDEREN VERBRECHEN

von Barbara Mutzbauer, Creative Director Concept and Strategy 

Können Räume in Unternehmen Verbrechen sein? An der Corporate Culture Jam in Biel wurde zu Fragen der Unternehmenskultur diskutiert, von New Work bis zur Zukunft von Leadership. Ich brachte mit meiner Abschluss-Keynote ein bedeutendes, aber oft sträflich vernachlässigtes Thema aufs Tapet: Räume und Atmosphären von Unternehmen. Es ging um nichts weniger als um Zukunft und um Verbrechen am Menschen. Gut, dass es nicht nur ein Mittel zur Verbrechensbekämpfung gibt, sondern sogar eines, dass unsere Lebensqualität steigert.   

Keine leere Hülle

Unternehmenskultur wäre nur eine leere Hülle, würde sie von einer entsprechenden Gruppe von Menschen nicht geteilt. Corporate Culture und das, was von ihr nach aussen strahlt, ist aktuell sogar einer der bedeutendsten Faktoren, warum sich Menschen für eine*n Arbeitgeber*in entscheiden. Das erleben auch wir in unseren Bewerbungsgesprächen, wenn wir fragen: «Warum denn Aroma?». Die Lust der Bewerber*in, zu uns zu gehören ist eine gute Basis und verspricht Freude im Team. Corporate Culture sollte vor allem nach innen Wirkung zeigen, das heisst ganz wörtlich: sie sollte wirklich sein. 

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Rejuveron Life Sciences: Ein Office Design, das Unternehmenswerte transportiert und Kultur fördert.

Wirkliche Corporate Culture wird von der Mikrogesellschaft einer Unternehmung gelebt. Sie gehört zum – zumindest beruflichen – Leben dieser Menschen und besetzt Lebenszeit, die sie womöglich (wo)anders verbracht hätten. Logisch, dass die Qualität der Kultur auch Lebensqualität beeinflusst. Wir alle profitieren von einer Unternehmenskultur, wenn wir uns damit identifizieren, damit arbeiten und somit auch leben wollen. Doch was gibt es dabei zu bedenken?

Learning from the best

Zum Thema Zukunftskultur hat uns das 20. Jahrhundert mit den literarischen Meisterwerken «Schöne neue Welt» von Aldous Huxley und «1984» von George Orwell beschenkt. Fiktion kann uns Lehrreiches vor Augen führen. In der vordergründigen Utopie «Schöne neue Welt» leben die Menschen glücklich und sorglos in einer hübsch gestalteten Genusskultur. Doch die genmanipulierte Gesellschaft ist streng in Kasten geteilt. Der Roman erzählt vom fundamentalen Bedürfnis, die eigene Persönlichkeit entwickeln und leben zu wollen und vom Verbrechen, dies diktatorisch zu verhindern. Auch in Orwells Buch werden menschliche Bedürfnisse missachtet. Seine Welt ist direkt dystopisch beschrieben, hässlich, ungemütlich und totalitär kontrolliert. Auch hier geht es letztlich um das Ausbrechen aus dem System.

Das Fazit der beiden sehr unterschiedlich beschriebenen Fiktionen? Eine Kultur, die vorbei an den Bedürfnissen ihrer Menschen gestaltet ist, wird auf lange Sicht nicht funktionieren. Utopien können nun auch entstehen, wenn es um zeitgemässe Unternehmenskultur geht. Das sind beispielsweise gut gemeinte Visionen, die jedoch im Licht der Realität nicht gelebt werden können. Oder fast dystopische Verhältnisse, einfach aus Gründen mangelnder Achtsamkeit. 
 

Reality Check 

Gar zu utopische und dystopische Extreme sind glücklicherweise nicht der Alltag unserer Arbeitsumgebungen. Doch wir leben in Technosphären und ihre physische Umgebung hat grosse Wirkung auf uns biologische Wesen. Sie muss daher gut bedacht werden, um langfristige negative Effekte zu vermeiden. 

Ein Beispiel ist der Stresslevel den wir durch Geräusche erfahren. Viele Menschen haben das Bedürfnis nach einem ruhigen Arbeitsplatz. In Zeiten von grossräumigen Office Spaces und Shared Desks sind Rückzug und Konzentration oft Mangelwahre und gerade der Geräuschpegel wird in Studien immer wieder als störend bis krankmachend beschrieben.

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Vifor Pharma: Akustikmassnahmen senken den Geräuschpegel, Sitzungszimmer und Fokusboxen ermöglichen ruhiges Arbeiten ohne Ablenkung.

Gute Akustik ist also schon einmal eine Massnahme der «Verbrechensprävention». Doch auch andere Aspekte unseres Menschseins brauchen Aufmerksamkeit. Menschen sind zumeist sozial-orientierte Wesen und wollen sich als Mitglieder von Gruppen verstehen. Diese Gruppenzugehörigkeit entsteht im Austausch miteinander. Ein wichtiger und gar nicht trivialer Moment ist dabei jener an der Kaffeemaschine. Ich würde sagen Kaffeemaschinen sind die «Wasserlöcher der Zivilisation» – Treffpunkte des sozialen Austauschs. 

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Metzger Rottmann Bürge MRB: Die Küche als zentrales Gestaltungselement, denn die Koch- und Kaffeekultur sind fester Bestandteil der Unternehmens-DNA.

Wenn Office Spaces in Zeiten von New Work als Nachteil keine individuell besetzbaren Arbeitsplätze bieten, dann braucht es einen Vorteil, der das aufwiegt. Warum also nicht Gemeinschaftsbereiche und attraktiv gestaltete Kaffeebars schaffen, die unserem sozialen Wesen entsprechen und dem Austausch (Resonanz-)Raum geben, wo er sein soll und darf. Menschen sind ebenso biophil, sie lieben das Lebendige. Officebegrünung ist die Antwort, die auch schon ganz einfach ausgeführt Wirkung zeigen kann.

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Haworth Schweiz: Viel Grün im Open Office Space erhöht das Wohlbefinden und die Luftqualität.

Die meisten Lebewesen, auch wir, sind heliotropisch, also sonnwendig. Dem Arbeitslicht und der Raumbeleuchtung ist daher Beachtung zu schenken. Es muss nämlich keines Falls alles gleichmässig ausgeleuchtet sein à la Methode «mehr hilft mehr». Im Gegenteil: Licht lebt vom Schatten und das Auge liebt Kontrast. So kann durch einige überlegte, gestalterische Interventionen viel Positives erreicht werden.  

Homo Narrans und das Wetter

Der Ethnologe Kurt Ranke und der Kommunikationstheoretiker Walter Fisher prägten den Begriff Homo Narrans, der erzählende Mensch. Auch die Schriftstellerin Nancy Huston spricht von uns als fabulierende Spezies. Storytelling ist weit mehr als eine wirkungsvolle Marketingmassnahe. Es ist die Fähigkeit, sich die Welt und sich selbst über Geschichten zu erklären, was auch neurowissenschaftlich mehr und mehr erforscht wird. Daraus ergibt sich für ein Unternehmen die Frage: Was erzählt sich Homo Narrans in seiner Arbeitsumgebung und über seine Unternehmenskultur? Identität ist das Stichwort. 

Die Corporate Identity sollte in den Räumen spürbar sein, denn Räume sind für Menschen die Schauplätze und Bühnen ihrer Stories. In Räumen können, ganz ohne Worte, mannigfaltige Informationen gespeichert sein, die wir Menschen intuitiv und in Real Time interpretieren. Wenn wir einen Raum betreten, wissen wir oftmals in Bruchteilen von Sekunden, an welchem Ort wir uns befinden, zu was er dient und welche Menschen hier agieren. Ohne Erklärung und CI-Manual spüren wir dies. Übrigens, wenn wir nicht einschätzen wo wir uns da gerade befinden, erleben wir Irritation, welche sich meist nicht gut anfühlt. Menschen werden aber immer versuchen sich wohl zu fühlen, denn wie bereits gezeigt funktioniert die Missachtung menschlicher Bedürfnisse nicht langfristig. Genau das ist auch der Grund, warum wir auf die Gefühlswelt der Menschen eingehen müssen. Der Corporate Culture Experte Christian Bach spricht denn auch richtigerweise von der Rolle leitender Personen, die Einfluss auf Mitarbeitende nehmen durch Verhalten und Emotionslage: «Jede Führungskraft ist Wettermacher und Klimabeauftragter». Leadership als Stimmungsmanagement? Absolut. Doch ich muss hier anfügen, dass Wetter und Klima sinnbildlich mit dem geologischen und topologischen Kontext der Landschaft in Zusammenhang stehen. Die physische Umgebung setzt die Bedingungen dafür, was darin entstehen kann. Wie Landschaften beschaffen sind, hat wiederum grossen Einfluss auf die Wettersysteme. In Naturlandschaften gilt das ebenso wie in Unternehmen. 

Was ein Corporate Culture Space sein könnte

Die Rolle der Atmosphäre kann gar nicht überschätzt werden. Die Raumstimmung, oder, um mit dem Philosophen Gernot Böhme zu sprechen – das «schwebende Zwischen» zwischen Raum (Objekt) und Mensch (Subjekt) – ist die Gesamtheit von Informationen zu faktischen und emotionalen Komponenten. Kurz: Bei Atmosphäre geht es um Design und was es mit Menschen macht. Wie aufgezeigt, ist der physische Raum durchaus steuerbar, um menschlichen Bedürfnissen gerecht zu werden. 

Verbrechen können also verhindert werden und qualitativ hochstehendes Design ist dazu ein Schlüssel. Ja, wenn ein gewisser Hebel angesetzt wird, kann sogar noch mehr geschafft werden: die anfangs beschriebene Steigerung von Lebensqualität in Form von Zeit, die man im Unternehmen verbringt. Dieser Hebel ist uns ebenso intrinsisch gegeben wie die Fähigkeit, Atmosphären zu interpretieren. Es ist die Empathie. Gemeint ist nicht Mitleid, sondern die fachlich entwickelte Designmethode, die richtigen Massnahmen zu ergreifen, indem wir uns in die Bedürfnisse der entsprechenden Gruppe Menschen einfühlen. Dass diese Massnahmen nun die Identität des Unternehmens transportieren sollten liegt auf der Hand. Was dem Entwerfen, Entwickeln und Realisieren vorgelagert sein sollte ist die Klarheit über die Unternehmenskultur, die in den Atmosphären letztendlich gespürt werden soll. Schaffen wir als Verantwortliche für Corporate Culture nicht dystopische Versäumnisse oder zu schön formulierte Visionen. Es braucht Orte, an denen die jeweilige Kultur wirklich gelebt werden kann. Ich möchte an dieser Stelle die Wortendung «-topie» sozusagen for the sake of the message verwenden und sagen: Schaffen wir Orte der Kultur, schaffen wir Kul-topien! 

 

Barbara Mutzbauer

Dr. Barbara Mutzbauer ist Creative Director Concept und Strategy. Sie inszeniert Botschaften in und mit Räumen und entwickelt emotionale und multi-sensuelle Erlebnisse. Sie studierte u. a. Innenarchitektur und Ethnologie und promovierte in Kulturwissenschaft zum philosophisch-ästhetischen Thema: «Die Funktion der Unschärfe – Atmosphärische Kommunikation in der Weltausstellung».

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