Wenn Einkaufen zum Erlebnis wird

Handel im Wandel

Der strukturelle Wandel ist tiefgreifend. Die Digitalisierung sorgt für eine 24/7-Verfügbarkeit, Produkt- und Preisvergleiche gibt’s per Mausklick und die Shopping-Convenience geht bis zum Gratis-Rückversand mit Pick-up-Dienst vor der Haustüre. E-Commerce ist auf der Überholspur und Online-Händler haben in Bezug auf Automation und Technologie die Nase vorn. Doch der stationäre Handel ist nicht aus dem Rennen. Mit neuen Formaten, Angeboten und einem durchdachten Marketing positioniert er sich neu. 

On- oder offline: Hauptsache, ich hab’s

Die neue Käufergeneration unterscheidet nicht mehr nach Vertriebskanal. Daher sind für den Handel die perfekte Orchestrierung von On- und Offline, die eindeutige Positionierung als Marke und die effiziente Nutzung der Technologie entscheidend. Gut möglich, dass sich der Kunde im Geschäft orientiert und den Kauf anschliessend online tätigt.

Nur die Kombination aus digitalen und analogen Räumen, wie sie sich ergänzen und unterstützen, transportiert das Einkaufserlebnis als Mehrwert und manifestiert sich bei den Konsumenten. Es gibt kein Entweder-Oder, das sagte bereits Gerhard Fehr, Verhaltensökonom und Inhaber von Fehr Advice in unserem Interview. Erfahrungsräume müssen analog erfahrbar sein. Mit ein Grund, weshalb Online-Anbieter wie Zalando, Amazon oder mymuesli.com auch auf Offline setzen und Aktivierungsmassnahmen in Form von Promotionen lancieren. 

Werte statt Wert

Dominierten in den letzten Jahren Discount-Angebote, um den Kunden an sich zu binden, verlangt der Trend heute nach einem verantwortungsvollen Ressourcenumgang bei hoher Transparenz. «Hauptsache viel und billig» zieht bei der Generation X und den Millennials nicht mehr. Materielle Dinge haben ihren bisher hohen Stellenwert an das nachhaltige Erleben verloren.

Dadurch ergeben sich für den Retail neue Chancen: Erfolgreich werden jene Anbieter sein, die In-Store-Experience schaffen und damit ihr Angebot aufwerten. Auf das Erlebnis pro Quadratmeter und nicht die Flächenproduktivität kommt es an.

Nischenprodukte und kleine Marken mit einer ethischen und transparenten Produktpolitik profitieren vom aufkommenden Zeitgeist. Es entstehen neue, einzigartige Räume, die die Markenwerte transportieren. Das Schweizer Kosmetiklabel Farfalla ist ein erfolgreiches Beispiel dafür.

Schweizer Naturkosmetik Farfalla: Neues Branding und Shop-Architektur

Weniger ist mehr

Kein Warenhaus kann es mit der Angebotsfülle der Online-Anbieter aufnehmen. Dem gegenüber steht die Beratungskompetenz des stationären Handels. «Andere Kunden interessierten sich auch für…»-Hinweise und Chatbots sind chancenlos gegen das freundliche Lächeln eines realen Menschen und das persönliche Gespräch. Durch Kundennähe, Services und Erlebnis lassen sich Kunden binden. Und sei es auch nur durch das Anbieten eines Kaffees im genau richtigen Moment.

Auf der Fläche sind wechselnde, kuratierte Produktangebote in einzigartiger Atmosphäre Publikumsmagnete. Im Glatt steht daher einmal pro Jahr der grösste begehbare Kleiderschrank der Schweiz. Themenbezogene Kurse und das Meet-and-Greet mit nationalen Influencer-Grössen runden den Event ab. 

Kuratiertes Shoppen im Einkaufszentrum Glatt

Third Places

Klassische Retail-Ansätze werden mit der Verschmelzung von Gastronomie und Erlebnis zu hybriden Orten, wo man Gleichgesinnte trifft, gerne verweilt und sich inspirieren lässt. 

Auch stark frequentierte Orte wie beispielsweise Flughäfen oder Bahnhöfe haben sich zu Konsumtempeln entwickelt. Ob für den schnellen Einkauf oder zur Überbrückung der Wartezeit entstehen neue Shopping-Formate. Die Migros-Food Station ist ein erfolgreiches Beispiel dafür.

Supermarkt mit integrierten Gastronomie-Formaten
In Zukunft: Chatbot statt VerkaufsberaterIn?

Der stationäre Handel wird weiter bestehen. Es zählt nicht mehr die Anzahl an Standorten sondern die Qualität der Shop-Lage. Die Technologisierung wird im Idealfall den Beratern mehr Zeit für die Kundenbetreuung einräumen und neue Dienstleistungen ermöglichen.

Die Finanzindustrie mutiert zu FinTech, in der Reisebranche ist der Nachbar auch Hotel und in der Musikindustrie ist Vinyl bereits wieder Hype: Wie in anderen Branchen bleibt es im Retail erlebnis- und wandlungsreich.

Ich für meinen Teil freue mich auf die Begegnung mit «meiner» Marktfrau am Samstag, das Zalando-Paket in der Hand.

Lust auf mehr?

Hier geht’s zum «Sofagespräch» mit Roger Stämpfli zum Thema Retail. 

Text von Karin Knapp. Sie greift gerne Trends auf, reitet aber nicht auf jeder Welle mit.

Quellen: Retail Think Tank UK, GDI Das Ende des Konsums, Studien von PwC Deutschland und KPMG Schweiz

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